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The Aces – I’ve Loved You For So Long
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The Aces – I’ve Loved You For So Long

Der Drive Back Longplayer ist ein Album mit Fingerspitzengefühl. Jede Musikerin gibt ihrem Instrument die geliebte Zuwendung, um Stück für Stück ein gutes Werk zu vollenden. Leider „nur“ ein gutes Werk, denn Christal Ramirez setzte mitunter einen Vocoder ein, dass in keiner Weise erforderlich wäre, und so manches Stück „in Arsch macht“. Ohne diesen wäre „I’ve Loved You For So Long“ hervorragend geworden. – Schade!

Dennoch veröffentlichte das Indie-Pop-Quartett aus Utah und Los Angeles ein bezauberndes Geschenk, das sich leicht hören lässt und außerdem noch zum tanzen zwingt. Und wem vertraute Cure-Gitarrenriffe ein Gedicht für die Ohren sind und den Stimmenverzehrer verzeiht, sei „I’ve Loved You For So Long“ ans musikaffine Herz gelegt.

Die Entstehung dazu war keine leichte Erfahrung, die viele Musiker:innen über sich ergehen lassen mussten. Denn das Album entstand aus der Niedergeschlagenheit der Pandemie heraus. „Under My Influence“, jüngst im Jahre 2020 veröffentlicht, bekam den Umständen entsprechend nicht die Aufmerksamkeit, dem es gebühren sollte, dazumal die Band sich größeren Erfolg erhoffte. Demnach steckte die Band aufgrund der pandemischen Ereignisse in einer halbjährigen Trauerzeit fest, bis sie sich aufrafften und einzeln ins Studio gingen, um sich – irgendwie, wie nur möglich – produktiv austoben zu könnte. Zusammen mit Keith Varon, dem einzigen Mitarbeiter an dem Projekt, publizierten sie mit „I’ve Loved You For So Long“ ein drittes Album, das bei weitem ihr bisher persönlichstes und selbstbewusstestes Werk geworden ist.

Eigentlich belief sich die gegebene Intuition darauf, kein neues Album zu schreiben. Aber es kam, wie es kommen musste, denn „I’ve Loved You For So Long“ ging in die Offensive. Zudem reflektierten sie in der Zeit des Schreibens, dass „Under My Influence“ auf egozentrischer Weise auf Erfolg aus war und nicht aufgrund des selbstlosen Inhaltes. The Aces wuchsen wieder innig zusammen und kehrten dahin zurück, wo sie einst waren und auch hingehörten: zu sich selbst. Sie reiften zu Musikerinnen heran, die wieder Spaß hatten Musik zu schreiben. Außerdem führt das Werk durch die persönliche Geschichte mit ihren schwierigen Momenten, die sie geprägt haben. Indessen schrieben The Aces nicht nur über die Liebe, sondern gaben intensiveren Lernmomenten Freiraum, um sich zu entfalten. Demnach veröffentlichten sie ein reflektiertes Album über die Vergangenheit sowie über die Gegenwart. Dabei dürfen Hörer und Hörerinnen sich gerne mit auf Rückbank des Trucks bequem machen, um bei der Zeitreise gegenwärtig zu sein.

Der titelgebende Opener „I’ve Loved You For So Long“ beschwört das herzerwärmende Gefühl, sich immer wieder in jemanden zu verlieben und mit der Zeit neue Dinge zu entdecken, die man liebt. Leadsängerin Cristal Ramirez erzählt über den Indie-Pop-Song: „Die größte Liebe meines Lebens ist diese Band. Das wurde mir auf subtile Weise klar, als ich den Titelsong für unser drittes Album schrieb, ‚I’ve Loved You For So Long‘ – eine Zeile, die Alisa schrieb, die sich großartig und romantisch anfühlte. Wir erforschten, wie die Liebe in einer Langzeitbeziehung aussieht, wenn man jemanden so lange liebt, dass er sich fast wie ein Teil von einem selbst fühlt. Obwohl wir uns beim Schreiben des Songs auf Erfahrungen aus unseren romantischen Beziehungen bezogen, wurde mir schnell klar, dass die Liebe meines Lebens diese Band ist“.

„Girls Make Me Wanna Die“ ist ein nostalgischer Aufruf zurück zu ihrer Jugend und der gemeinsamen Erfahrung, jung, queer und schmerzhaft in die beste Freundin verliebt zu sein. Darüber erzählen sie: „Jeder erinnert sich an dieses Gefühl. So viele ‚was wäre, wenn‘, so viel Sehnsucht. Jeder einzelne Blick und jede Berührung bedeutete etwas. Wir wollten, dass sich dieser Song verzweifelt und jugendlich anfühlt, also haben wir ihn so reduziert, wie alles begann, als wir noch Kinder waren und im Keller jammten. Gitarre, Schlagzeug, Bass und ein verzerrter Gesang.“

„Always Get This Way“ liefert einen Appell an die Humanität, dass Freundlichkeit eine Tugend ist und Schimpfwörter einen seelisch schwer verletzen können. In dem Song tanzen Panik-Attacken und Angststörung gemeinsam auf einem Drahtseilakt. Eine genussvolle Ohrwurm Qualität besitzt „Not the Same“, doch steht der Vocodereinsatz zum Abspann eher vor einem uneffektives Hör-Erlebnis. „Attention“ verdeutlicht, dass aus Liebe emotionale Abhängigkeit werden kann. Das Aufmerksamkeitsdefizit verletzt den innig liebenden Menschen, der sich weiterhin vorführen lässt. Und „Younger“ setzt sich mit der eigenen Konfrontation in jungen Jahren auseinander. Es wird unter die Maske geschaut und klargelegt, dass mit 14 Jahre genauso wenig Lebenserfahrung vorliegt wie mit 25 Jahren.

Mit „I’ve Loved You For So Long“ hat die All-Female Band ein zeitloses Werk geschaffen, das textlich einen Zeitraum von mehr als einem Jahrzehnt abdeckt. Das Album besticht durch Christals angenehmer Stimme, bis auf den Vocoder, und die Balance aller Memberinnen, die ihren gesunden Egoismus nach hinten stellten, um ein funkelndes Werk zu kreieren, welches sie aus der Umgebung der mormonischen Kirche befreit und aufatmen lässt. Die tiefliegende Sehnsucht wurde zu einem empowernden Sieg aus Freundschaft, Liebe und Musik.


Wissenswertes:

  • The Aces sind: Die Schwestern Cristal und Alisa Ramirez (Lead-Gesang/Gitarre bzw. Schlagzeug), Katie Henderson (Lead-Gitarre/Gesang) und McKenna Petty (Bass)
  • Auf „Under My Influence“ von 2020 ging die Indie-Band offen mit der Homosexualität von 3 der 4 Mitglieder um. Die Band wuchs in Provo auf, einer religiösen Stadt im „Mormonen US-Bundestaat“ Utah, die alternative Sexualität kaum tolerierte.

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