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Alin Coen – Empowerment und Nah
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Interviews

Alin Coen – Empowerment und Nah

Am 28. August 2020 erscheint Alin Coens neues und dazu deutschsprachiges Album „Nah“. Die Songs „Bei Dir“, „Du machst nichts“ und „Entflammbar“ sind die ersten musikalischen Anzeichen auf ein feinsinniges sowie kraftvolles Werk. Denn die Klarheit, die Alin Coen in den vergangenen Jahren gewonnen hat, spiegelt sich in der gesamten Produktion von „Nah‟ wider. Mit Female Voices sprach sie über ihr neues Album, wohin es sie in den letzten Jahren verschlug, über Frauen im Musikbusiness und die wichtige Bewegung „Feminismus“.

• Hallo Alin, Danke dass Du Dir für Female Voices Zeit nimmst. Ich freue mich sehr. Jetzt mal Hand aufs Herz… „Nah“ erscheint im August. Sieben Jahre nach deinem letzten Album „We’re Not the Ones We Thought We Were“. Du hast Dir sehr viel Zeit gelassen. Ist ja auch ok. Was war es – Reflektion und Selbstreflektion? Was hast Du in der Zeit gemacht?

Ich habe 2014 gedacht, ich wäre durch damit, Musikerin zu sein. Eine Schreibblockade hatte ich auch. Musikerin zu sein fühlte sich für mich nicht mehr sinnstiftend an. Ich habe dann ein Master-Studium namens „Land and Water Management“ in Holland begonnen, ein Praktikum bei Greenpeace gemacht und dann doch wieder Lust darauf gehabt, ein neues Album zu schreiben. Eigentlich habe ich nur ein Jahr lang keine Konzerte gespielt. Nur das mit dem Liederschreiben hat sich etwas länger hingezogen.

• Auf Englischsprachig folgt Deutschsprachig. Warum, weil Du Dich in der deutschsprachigen Poesie besser ausdrücken konntest?

Ich glaube, weil ich Englisch nicht mehr so viel als Kommunikationssprache verwende wie noch vor ein paar Jahren. Ich habe angefangen Lieder zu schreiben, als ich in Schweden lebte und mit den meisten Leuten Englisch gesprochen habe. Auch nach der Zeit in Schweden war Englisch für mich eine Sprache, in der ich viel gesprochen habe. Aber inzwischen habe ich das Gefühl, viel seltener Englisch zu sprechen.

• Du hast bis jetzt zwei Singles von deinem neuen Album draußen, „Entflammbar“ und „Du machst nichts“. Warum hast Du Dich für diese beiden Songs zur Vor-Veröffentlichung entschieden? Was bedeuten Dir diese Songs?

Das war eine intuitive Entscheidung. Für mich klingen die beiden Songs, als wäre der eine die Fortsetzung von dem anderen. Als erstes kam „Entflammbar“, ein Lied, bei dem das lyrische Ich noch in Schockstarre über die Erkenntnis ist, dass das Gegenüber all die Zuneigung nicht erwidert und das zweite Lied „Du machst nichts“ beschreibt den Zustand, wenn man beginnt, damit klar zu kommen: „Ich hab lang gebraucht, um es mitzukriegen – es hat keinen Sinn, dich zurechtzubiegen.“ Ich glaube, dieser Satz ist einer meiner liebsten auf dem ganzen Album.


• Welche Thematik ist auf „Nah“ für Dich besonders wichtig?

Der Name gibt das ja eigentlich schon preis. Als ich ungefähr die Hälfte der Songs fertig hatte, habe ich bemerkt, dass sie so klingen, als ob sie die zusammenhängende Geschichte einer Beziehung erzählen würden. Von da an bin ich mit einem losen Konzept an die weiteren Lieder gegangen, ich wollte einen runden erzählerischen Bogen herstellen. Mir fiel auf, dass noch ein paar bejahenden Lieder fehlten und dass das Ende noch etwas beleuchtet werden sollte. So habe ich mich von Stück zu Stück gehangelt. Letztlich habe ich aber die Idee des erzählerischen Bogens wieder über Bord geworfen und die Lieder neu sortiert, so dass sie als musikalische Nachbarn jeweils am besten zusammenpassen.

• In einer Pressemitteilung stand geschrieben: „Alin Coen gehört zu DEN stilprägenden Künstlerinnen-Persönlichkeiten der jungen deutschsprachigen Singer-/Songwriter*innen-Szene“. Empfindest Du Dich als stilprägend, als was und wie empfindest Du Dich selbst in der Musikbranche?

Ich empfinde mich nicht aus mir heraus als stilprägend, aber es gibt einige junge Künstlerinnen, die mir sagen, dass ich sie mit inspiriert hätte, Singer-Songwriterinnen zu werden. Das weiß ich nur, weil sie es mir direkt gesagt haben.

Ich finde die Frage nach meiner Rolle in der Branche gar nicht so einfach zu beantworten. Ich empfinde mich nämlich kurioserweise nicht als zur Musikbranche zugehörig oder nur lose damit in Kontakt, dabei bin ich ja mittendrin und ein Teil davon. Vielleicht empfinde ich mich nicht als zugehörig, weil ich bei keinem Label bin und nicht auf Branchen-Events eingeladen werde. Aber du hast ja nach meinem Empfinden gefragt. Kann gut sein, dass mein Empfinden nicht besonders objektiv auf die Sache schaut.

• Ich habe eine Frage, die mir aus meinen Fingerkuppen direkt in die Tastatur brennt: Du bist in den sieben Jahren Pause Mutter eines Sohnes geworden. Oliver Pocher und seine Frau Amira haben eindringlich und schonungslos darauf aufmerksam gemacht, dass Kinder – auch Promikinder (Bilder) im Netz nichts zu suchen haben, die dadurch im pädophilen Darknet präsentiert werden. Wie ist Deine Meinung zu dieser Thematik?

Ich stelle keine Bilder meines Sohnes ins Netz.

• Frauen im Musikbusiness. Oft hörte ich, dass Frauen es im Musikbusiness schwerer haben als Männer. Und sie sind definitiv unterrepräsentiert. Darf ich Deine Erfahrungen ergründen?

In der GEMA (der Gesellschaft, die für Musikautor*innen die Tantiemen einsammelt und verteilt) ist eine einzige Frau im Aufsichtsrat. Eine Frau steht 14 Männern gegenüber. Noch gar nicht im Aufsichtsrat vertreten sind People of Color. Es gibt diese sogenannte durchsichtige Wand. Auch A&R, also die Leute, die für die Labels aussuchen, welche Künstler*innen unter Vertrag genommen werden, mit welchen Leuten diese zusammenarbeiten etc., scheinen nur Männer werden zu dürfen, zumindest gibt es bei den großen Major-Labels keine Frauen in dieser Position. Frauen, die besonders gut in ihrem Job in der Musikbranche sind, werden nicht befördert, sondern ihnen wird erklärt, dass sie unverzichtbar in ihrer Position sind. Mittlere Führungspositionen ja, da dürfen Frauen mitspielen, aber die obere Führungsriege sorgt dafür, dass das Patriarchat noch ne Runde länger erhalten bleibt.
Ich habe auch erlebt, dass Musikerinnen bei der gleichen Band schlechter bezahlt werden, als die männlichen Kollegen. Es wird so getan, als hätte das nichts mit dem Geschlecht zu tun. Da werden Begründungen hergenommen wie: „Ihr spielt ja auch nicht bei allen Liedern mit.“ oder „Die Band ist schon seit so vielen Jahren dabei, die haben am Anfang auch noch schlechtere Gagen bekommen.“ Aber dass es auch einfach damit zu tun hat, dass das Management das ok findet, wenn alle Frauen im Team, schlechter bezahlt werden, das mag sich keiner eingestehen.

• Wow! Ich bin enttäuscht und entsetzt! Das muss was getan werden!
Mich hat die Sendung von Joko & Klaas „Männerwelten – Belästigung von Frauen“ entsetzt. Auch ich gehöre leider zu den Dick-Pic Opfern. Der Nachhall zur Sendung unter den Künstlerinnen war enorm, da ihnen ähnliches passiert ist oder auch, wie sie von den Männern im Musikbusiness vorgeführt worden. Hattest Du auch ähnliches erleben müssen?

Das tut mir richtig leid, zu hören, dass dir das passiert ist. Ich habe nach dieser Sendung auch erstmal eine Weile einen ganz enormen Ekel gegenüber solchen Männern gespürt.
Zum Glück hab ich persönlich nur ganz wenig aus der Richtung erlebt. Ein etwas ordinäres Gedicht hat mir ein Fan mal per Fanbrief geschickt. Vielleicht hat mein Management aber auch alles andere, was zu ätzend gewesen wäre, von mir ferngehalten.

Du engagierst Dich für das Netzwerk „Music Women Germany“, das die Sichtbarkeit von Frauen in der Popbranche erhöht. Zudem hast Du auf Instagram die Challenge #musicwomenwednesday gestartet, bei der sich Musikerinnen gegenseitig covern. Und Du hast Dein Team auf und aus Frauen gebaut. Aber Deine Band ist noch die Stammbesetzung?

So halb. Ich habe mich von dem Gitarristen, mit dem ich die Alin Coen Band gegründet habe, 2016 getrennt (also musikalisch) aber der Bassist und der Schlagzeuger sind noch dabei. Auf der nächsten Tour werden noch zwei Multi-Instrumentalistinnen dazu kommen.

• Feminismus war für mich stets zu politisch, zu aggressiv – bis ich mich mehr mit der Thematik auseinandergesetzt sowie belesen habe, und nicht mehr das nackte Femme-Frauen Bild vor meiner Nase oder Beyonce hatte, sondern dass es ein vielseitiges, interessantes und kluges Grundanliegen der Frau ist. Ich sehe mich nicht als Feministin an, die in den Kampf zieht, evtl. auf Männer ein trampelt. Hoffentlich habe ich jetzt nicht angeeckt. Ähm…ich muss zugeben, dass ich in einem Männerberuf arbeite und die einzige Frau bei uns bin und auch geschätzt sowie wohlbehütet werde. Meine kleine Bewegung ist mein Portal „Female Voices“. Mich würde Deine Meinung zum Feminismus sehr interessieren.

Ich halte Feminismus für eine wahnsinnig wichtige Bewegung, eine der wichtigsten neben der Bewegung für den Erhalt des Lebens auf unserem Planeten (ich meine Fridays for Future). Was ist das denn auch für eine Ungerechtigkeit, dass die Hälfte der Weltbevölkerung von vornherein einfach aufgrund ihres Genders nicht die gleichen Chancen und Privilegien bekommt, wie die andere Hälfte? Es werden in der Welt noch Frauen umgebracht, weil ein Mann nicht mehr mit ihnen zusammen sein will. Menschen werden mit Säure übergossen und verbrannt, weil sie Frauen sind. In manchen Ländern tötet man Babys, nur weil sie keinen Penis haben. Ich finde das Patriarchat gehört ein für alle Mal abgeschafft und zwar sofort. Dafür müssen wir uns einsetzen. Alle! Männer, Frauen und alle anderen Gender gleichermaßen.

• Ich könnte mich lange darüber unterhalten. Vielleicht nächstes Jahr auf Deiner „BEI DIR TOUR 2021“, die ja aufgrund von Covid-19 verschoben werden musste. Vor allem hast Du Shows in ganz schön großen Venues, dafür dass Du schon so sehr lange nichts mehr von Dir hast hören lassen. Bewundernswert!

Ich war ja trotz des Ausbleibens neuer Lieder weiterhin auf Tour und unser Publikum wurde entgegen allen Erwartungen größer, obwohl keine neuen Lieder rauskamen.
Covid-19 ist schon eher nicht so auf unserer Seite. Aber wir wollen auch nicht auf der Seite von Covid-19 sein, also tun wir, was wir können, um seine Verbreitung zu drosseln.

Herzlichen Dank, viel Erfolg und ein tolles Resümee auf „Nah“.

• Zum Schluss noch die Bitte um ein Selfie von Dir, das ich mit dem Interview zusammen veröffentlichen darf.

Ich mach so selten Selfies. Aber hier ist eins aus meinem letzten Urlaub.

Live-Daten:
24.08.20 Köln, Jugendpark (Silent Concert auf der Summerstage)
29.08.20 Hamburg, Knust (Lattenplatz)
20.04.21 Magdeburg, Moritzhof
21.04.21 Erlangen, E-Werk
23.04.21 Dresden, Alter Schlachthof
24.04.21 Erfurt, HsD Gewerkschaftshaus
25.04.21 Essen, Weststadthalle
26.04.21 Köln, Gloria
27.04.21 Saarbrücken, Garage
29.04.21 Leipzig, Täubchenthal
30.04.21 München, Technikum
01.05.21 Stuttgart, Im Wizemann
02.05.21 Karlsruhe, Tollhaus
03.05.21 Frankfurt, Batschkapp
05.05.21 Osnabrück, Lagerhalle
06.05.21 Oldenburg, Kulturetage
07.05.21 Rostock, Mau-Club
08.05.21 Lübeck, Riders Café
09.05.21 Hannover, Pavillon
11.05.21 Hamburg, Docks
12.05.21 Berlin, Festsaal Kreuzberg

Album-Links: AlinCoen.lnk.to/Nah
Website: www.alincoen.com
Instagram: www.instagram.com/alincoen
Facebook: www.facebook.com/alincoen

Beitragsbild: Alin Coen by Sandra Ludewig