Als Keyboarderin und Sängerin wurde Anne Nurmi 1994 fester Bestandteil des Musikprojektes Lacrimosa. Doch bevor sie in das musisch symphonische Dichtungswerk eingetaucht ist, war sie Mitbegründerin der finnischen Band Two Witches. Auf einer Tour lernte sie Tilo Wolff kennen, der das Feuer um Lacrimosa bereits 1990 entfachte. Er war von ihrer Stimme so hingerissen, worauf er sie einlud unverzichtbar für sein musikalisches Lebenswerk zu werden. Daraufhin wurde Anne Nurmi mit ihrer elysischen sowohl „witchigen“ Stimme eine exzellente Spiegelung in der düsteren Vertonung.
Tilo Wolff selbst ist ein wahrer Meister des orchestralen Gewandes, der die Avantgarde der „symphonischen Klangeskunst mit härteren Riffen“ multi-instrumentalistisch anführt. Lacrimosa zelebrieren eigenhändig niedergeschriebene deutsch- sowie englischsprachige Lyrik, die in Rock- und Orchestermusik gebettet wird.
Das Phantastische an Lacrimosa ist, dass seit ihrer Existenz die gezeichneten Illustrationen sich wie ein roter Faden durch die Bandgeschichte ziehen, ohne sich zu kräuseln oder zu brechen. Der geschwungene Pinsel ruhte nicht und erzählt mit jedem Federstrich die Geschichte des jeweiligen Albums. Seit der neuen „Tod und Liebe“ Trilogie stellen Skulpturen die Sequenzen dar. Dazu besitzt jedes Cover, welches von Lacrimosa publiziert wurde, einen eigenen Epos.
Anne Nurmis erstes Solostück wurde auf der „Inferno“ im Jahre 1995 veröffentlicht. Seitdem befindet sich auf jedem Studioalbum ein solistisches Programm, worin ihre Stimme führend ist. Die gebürtige Finnin fügt ihren Liedern eine pikant-süßliche sowie zerbrechlich-bittere Note bei. Des Weiteren heben sich ihre Kompositionen ab, und bilden einen weichen Kontrast. Nahezu sind ihre tiefen Seufzer zu vernehmen. Doch gibt es nichts Schöneres als ihr schlagendes Herz zu hören, das sie liebevoll in ihre arrangierten Lieder legt!
No Blind Eyes Can See – 9:17 – Inferno (1995)
(Blinde Augen sehen nicht) Mit einer wunderbaren Celloeröffnung beginnt ein fast zehnminütiges Glanzstück. Die Akkorde führen die Dramatik an, bis das Symphonieorchester einsetzt und eine ergreifende Symbiose aufbaut. Der hypnotisierende Ton wandert durch die Lyrik. Und die eindringliche Lyrik wandert durch den Ton wie ein Wesen, welches durch die Sternennacht streift. Die tiefgreifende Geschichte sowie die umschlungene Musik ist eine nachdrückliche Komposition, in der Anne Nurmi zwischen den Zeilen verstehen lässt, dass sich aufgerichtet werden soll.
Not Every Pain Hurts – 5:19 – Stille (1997)
(Nicht jeder Schmerz tut weh) Diese Komposition wird von einem Akkordeon angeführt, das dem Musikstück den Atem einflößt. In diesem Lied geht es darum, dass der Traum gelebt und der Weg gegangen werden soll. Nicht jede Erfahrung schmerzt, die gemacht wurde.
Make it end – 6:03 – Stille (1997)
(Bring es zu Ende) In diesem Stück wird Anne Nurmis Stimme energischer und bestimmender. Hierbei haut sie auf den Tisch, schreit ihre Wut heraus und befiehlt das leidige, immer wiederkehrende Thema zu beenden und Vorwärts zu schauen. Es ist ok, schwach zu sein. Doch sollte das Vertrauen, das in jedem von uns steckt, wieder zum Leben erweckt und die Zweifel von sich gelassen werden. Es geht darum, wieder zu sich selbst zurück zu finden und die Wahrheit zu akzeptieren, auch, wenn es für den Augenblick schwer ist.
The Turning Point – 4:58 – Elodia (1999)
(Der Wendepunkt) „The Turning Point“ beginnt mit einem finnischen Monolog, indem der Kummer auf sehr poetische Weise ausgesprochen wird. Der in der Übersetzung in etwa wie folgt gedeutet werden kann: „Die Wolken verdunsten mit den Winden so schnell wie dieser Traum nur vergehen kann. – Ich kann dich nicht mehr erreichen.“ In dem Stück geht es insgesamt darum, dem eigenen Leben wieder Vertrauen zu schenken.
Senses – 6:04 – Fassade (2001)
(Sinne) Die Sinne werden in diesem Lied von einem Ersehnen umgeben, wenn die Liebe nicht in der Nähe ist. Hierbei wird das Gefühl umschrieben, der Einsamkeit zu unterliegen. Das Herz wurde dennoch mitgenommen, obwohl es im Stich gelassen worden ist.
Vankina – 5:17 – Der Morgen danach (EP – 2001)
(Gefangene) Anne Nurmi singt in dieser sphärischen Vollendung in ihrer finnischen Muttersprache. Synthetische Klangstrukturen dirigieren die Stimmung des Songs, das einem niedergeschlagenen Lamentieren gleicht. In diesem betrübten Stück wird der Liebeskummer um den Liebsten verdeutlicht, der mit einem Gedankenkarussell beginnt und mit einer rollenden Träne endet.
Apart (Bittruf Part 1) – 4:16 – Echos (2003)
(Getrennt – Bittruf Part 1) – In diesem Bittruf steckt ein Betrüben. Es wird darum gebeten, nicht aufzugeben, trotz der inneren Leere, die im Gegenüber weilt. Dieses Lied sinniert über die Vergangenheit, als die Sterne in den Augen noch funkelten und die Liebe aufflammte, bis die Dunkelheit eingezogen ist. Es wurde Hoffnung darin gesetzt, dass die Liebe beständig wäre. Doch im einseitigen Kampf um der Liebe willen wurden Verzweiflung und Enttäuschung zur leidigen Sehnsucht.
My Last Goodbye – 8:08 – Lichtgestalt (2005)
(Mein letzter Abschied) Dieses Lied wird im Dialog zwischen Loslassen und Zusammenbleiben geführt. Eine langlebige Liebe hielt nicht für die Ewigkeit, obwohl das Unterbewusstsein noch immer daran fest hält, dass diese weiterhin fortleben soll. Trennung und Bindung stehen sich gegenüber, die eine Hand hält die Hand des anderen, solange bis eine auf ewig loslässt.
A Prayer for Your Heart – 5:13 – Sehnsucht (2009)
(Ein Herzgebet für Dich) Die Zeilen zu diesem Song schrieb Anne Nurmi auch persönlich. In dem Lied geht es um das Ende einer Liebe, indem das Loslassen ein schweres Unterfangen ist. Doch das Gebet soll es richten, dass das Herz aufhört zu bluten und der Kummer versiegt. Aus dem Traum heraus wird die Welt betreten, wo aus Angst Zuversicht wird und die Liebe zurückkehrt.
If The World Stood Still a Day – 3:15 – Revolution (2012)
(Wenn die Welt einen Tage still stünde) In diesem Song stellt sie sich den Fragen: Was wäre wenn? Wenn die Welt einen Tag stehen bliebe, würde sie aufhören ihre Ziele zu verfolgen? Der Liebe vertrauen? Was würde sie tun? – Singen, Tanzen, Tränenreich lachen? Wie können wir es auch wissen? – Dies wird zum Abschluss beklagt. Die treibenden Drums, zeternde Gitarren und Anne Nurmis liebliche Fragen lösen einen unmittelbaren anregenden Tanzsturm aus.
Thunder and Lightning – 6:17 – Hoffnung (2015)
(Donner und Blitz) In diesem Lied wird alles unternommen, um wieder begehrt zu werden. Im vollblutigem Verlangen wird dem gegenüber mitgeteilt, wie sehr das Feuer im Inneren brennt. In purer Form der Ekstase entwickelt sich eine Leidenschaft, die aufblitzt wie ein Funke im Herzen.
My Pain – 4:15 – 3. Akt – Testimonium (2017)
(Mein Schmerz) Mit dieser symphonischen Aufführung wird die Entwicklung einer starken Frau verdeutlicht, wie sie im Kampf um Klage, Gnade und Güte steht. Sie möchte Erinnerungen schaffen, bevor es zu Ende geht. Auch erzählt es die Geschichte, wie das Herz gebrochen wird, weil die bittere Wirklichkeit ansteigt. Aber als starke Frau, lässt sie sich nicht aufhalten und geht ihren weiteren Lebensweg.
The Daughter of Coldness – 4:31 – Leidenschaft (2021)
(Die Tochter der Kälte) In diesem Stück wird eine unnahbare Frau beschrieben, die versucht ihre innere wie auch äußere Balance beizubehalten, wie alle anderen Menschen auch. Im Bewusstsein daran, die Haltung nicht lange bewahren zu können, fand sie ihr Gegenüber, der ihr die Stärke gab, nach der sie sich sehnte. Aufgetaut durch die Liebe fand sie zu ihrem Gleichgewicht zurück. Der Song bestärkt das alte Kleid abzulegen, die eigene Schönheit zu erkennen und sich selbst wertzuschätzen. Ebenso ist es von Wichtigkeit die eigene Energie zu stärken und zu beleben.
Celebrate the Darkness – 5:21 – Leidenschaft (2021)
(Feiere die Dunkelheit) Auf sanft klagender Weise wird ein Stück eröffnet, welches im Dialog erörtert, wie schön Beziehungsschmerz sein kann. Hierbei gilt die Dunkelheit als nährende Quelle, die aus Liebesschmerz gewonnen wurde. Bittere Tränen werden zu taumelnden Partygirlanden. Die Macht der Gefühlswelt wird gezielt auf die Divergenz von Liebe und Trauer gerichtet. Die Verletzlichkeit bietet einen perfekten Anlass für die schmerzensreich neigende Feier.
„Nur in der Dunkelheit können wir die einzelnen Lichter erkennen.“ – Lacrimosa
*** Anne Nurmi ist eine Frauenstimme, die mich bereits seit Mitte der 90er Jahre begleitet. Und stets, wenn ein von ihr gesungener Song spielte, spürte ich meine Lebensgeister zaghaft erwachen. Die auf CD/LP gepressten Lieder sind wie kleine Schmuckstücke, die ich behutsam aus dem Kästchen nehmen und wieder und wieder anhören darf. Von Two Witches habe ich ebenfalls ein Album in meiner Sammlung, in der Anne Nurmi zugehörig war. Sobald ein neues Stück ihren Auftritt auf einem neuen Album hat, wird dieser in diesem Artikel mit eingefügt.
Wertvolle Links:
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Die wunderbaren Fotografien sind von: www.schokopixel.de
Lacrimosa CD Tipp: Das neue Album „Leidenschaft“, welches ich wärmstens empfehlen möchte, darf gern über Hall of Sermon bestellt werden: