• Hallo CATT, danke, dass Du Dir Zeit nimmst. Leider wurde auch Deine Tour durch den Virus-der-nicht-genannt-werden-darf vorerst verworfen. Wie geht es Dir als Musikerin mit diesem Desaster? Ich denke mir, wenn ich in dieser Situation wäre, was mir viel bedeutet, und dadurch gegen eine ungewisse Betonwand laufen müsste, so würde ich erstmal in ein kleines Loch fallen.
Hi, ich freu mich sehr auf das Gespräch. Tatsächlich war das Jahr voller Planänderungen und Enttäuschungen. Meine erste eigene Tour im Frühjahr 2020 musste ausfallen, was natürlich traurig war – ich hoffe sehr, sie kann nächstes Jahr auf irgendeine Art stattfinden. Ich hatte das Jahr über Glück, dass ich so in der Fertigstellung meines Albums steckte. Da hatte ich die ganze Zeit ein Projekt, an dem ich arbeiten konnte und das mich innerlich über Wasser hielt. Auch wurden wir ja durchs Wegfallen des Lebens da draußen oftmals auf uns selbst zurückgeworfen, was mir persönlich viel Raum und Zeit für meine eigenen Prozesse gegeben hat. Ich konnte mich viel mit mir selbst beschäftigen und mir überlegen, wer ich überhaupt sein will, wenn ich mich mit meiner Musik in die Öffentlichkeit stelle.
• Du hegtest den Wunsch Dein eigenes Album zu erschaffen. Letztes Jahr erschien die EP „Moon“. Dieses Jahr Dein Debüt „Why, Why“. Du hast also Deinen Traum endlich verwirklicht. Wir geht es Dir damit?
Es fühlt sich sehr schön an. „Moon“ im letzten Jahr war noch ein erstes Herantasten an den eigenen Sound und überhaupt erstmal dafür, den Mut aufzubringen, was Eigenes zu machen. Ich habe alles selbst aufgenommen und produziert und sehr viel gelernt. Diese Erfahrungen konnte ich dann Anfang dieses Jahres in meinen Schreibprozess nehmen und jetzt sind die Songs für alle draußen in der Welt, was sich sehr besonders und gut anfühlt.
• Dein Debüt trägt den Titel „Why, Why“, der singenden Frage aus dem Opener „Again“. Gab es einen bestimmten Anlass dafür, das Album so zu benennen? Doch irgendwie ist die Namensgebung zur gegenwärtigen Situation passend.
Die Songs auf „Why, Why“ mitsamt ihrer Texte sind interessanterweise kurz vor dem Losbrechen der ganzen Situation entstanden. „Damals“ richteten sich die Fragen und Themen einfach generell an verschiedene Themen, Prozesse und das Leben im Allgemeinen. Dass sich die Songs thematisch jetzt so erstaunlich gut an die momentane Situation anpassen, ist glaub ich einfach das Magische an Musik. Sie passt sich individuellen Geschichten, Momenten und Situationen einfach immer neu an.
• Anyway … Zu etwas Schönem: Deinem Debüt! Herzlichen Glückwunsch! Du durftest dafür vom Februar bis März 2020 in die Roger Willemsen Villa einziehen. (Der Mann ist einfach viel zu früh von uns gegangen.) Ich habe ihn sehr bewundert und furchtbar gerne zugehört. Wie war es für Dich? Ich würde vor Demut niederknien. Du durftest auch in seiner Musik- sowie Büchersammlung eintauchen.
Das war ein großes Geschenk. Ich habe bis letztes Jahr sehr viel für andere Musiker/innen gearbeitet, geschrieben und mit ihnen auf Bühnen gestanden. Für 2020 hatte ich mir vorgenommen, alles abzusagen und jetzt wirklich nur noch CATT zu sein und mich völlig darauf zu konzentrieren. Da kam Anfang des Jahres diese Artist-Residence natürlich unglaublich passend. Die schöne Villa am Rande Hamburgs war so lichtdurchflutet, warm und voller Raum. Schön war natürlich auch der Flügel, die große Bücher- und Musiksammlung von Roger Willemsen. Ich hatte ein wenig das Gefühl, sein Spirit ist noch sehr im Haus. Es heißt sofort willkommen und hüllt einen in seine Wärme ein, so war er ja auch immer mit Menschen, egal, wie unterschiedlich sie waren.
• War sein kreativer Spirit eigentlich anwesend? Denn etwas „unsichtbares, geisterhaftes, schemenhaftes“ hat Dein Album schon. Vor allem die Chöre deuten darauf hin, wie in „I Don’t Know How To Talk To You“.
Lustig, dass ich darauf jetzt schon kam. Ich finde, es war eine sehr spürbare Kreativität, Wärme und Inspiration in diesem Haus. Im Gartenhaus der Villa habe ich dann immer bis nachts gesessen mit meinen Instrumenten und die Songs weiteraufgenommen und produziert. Ich bin auf jeden Fall viel experimentierfreudiger gewesen als zuvor und habe deswegen natürlich den Ort mit all seinen Energien mit eingefangen.
• Wie lief ein kreativer Prozess in der Villa für Dich ab? Dein liebster Platz war der am Buntglasfenster.
Ich habe im letzten Jahr, als ich noch viel unterwegs und auf Tour war, schon viele Beobachtungen, Gefühle, Worte und Satzfragmente aufgeschrieben. Immer zwischendurch in ein Notizbuch oder ins Handy. Aus diesen ganzen Notizen konnte ich dann in Hamburg täglich neu entscheiden, mit welchem Gefühl oder Thema ich mich auseinandersetzen wollte. Ich setzte mich jeden Morgen an den Flügel und spielte. Mir kamen meist schnell erste Ideen, mit denen ich dann rüber ins Gartenhaus lief und erste Aufnahmen machte. Die fertige Produktion braucht dann allerdings meist Tage bis Wochen, ich lege einen Song dann immer wieder mal zur Seite und greife ihn später wieder auf. Da ich alles in diesem Zeitrahmen und an diesem Ort gemacht habe, fühlt es sich sehr organisch und zusammenhängend an.
• Du spielst leidenschaftlich Klavier. Auch ist es ungewöhnlich für eine Musikerin, dass auch Blechblasinstrumente perfekt in die Musik passen ohne „Volkstümlich“ zu wirken. Du gibst diesen Musikinstrumenten einen neuen Stellenwert. Bisweilen hörte ich diese Instrumente bei Sigur Ros.
Ich bin sehr dankbar für die vielfältigen Einflüsse! Habe als Kind erstmal komisch geguckt, als meine Eltern mir die erste Posaune in die Hand gedrückt haben, damit ich das für den Posaunenchor lerne. Konnte sie damals noch nicht mal richtig halten. Jetzt freu ich mich sehr darüber. Die Blechbläser ermöglichen mir eine zusätzliche Ebene, auch live mit der Loop-Station und machen auch einfach sehr viel Spaß!
• Du hast „Willow Tree“ als Single erwählt. Früher wurde behauptet, dass unter Weiden das Böse wohne. Symbolisch steht die Weide für Keuschheit, Enthaltsamkeit, Ewigkeit, Ausdauer, Tod, unglückliche Liebe. Für was steht (der) „Willow Tree“ in Deinem Leben, und was bedeutet Dir dieser Song?
Interessant! Ich habe mich über die symbolische Bedeutung der Weide vorher gar nicht informiert. Ich fand die Bäume einfach immer schon sehr schön und fand, sie haben eine besondere Ausstrahlung. Für mich passte er so gut zu dieser Szenerie des Liedes: „So we stole ourselves away from the party, and we started our own little wave. Under centuries of willows in the garden, that as well stole away from being paved.“ Der nächtliche Sommertanz mit Freunden auf eigene Art. Metaphorisch das „sich Wegstehlen“ aus gesellschaftlichen Konventionen, eigene Wege gehen. Vielleicht die „Enthaltsamkeit“ und der „Tod“ zu den bisherigen Verbindungen zu alten Strukturen – sich eigenständig machen und damit „neu geboren werden“. Das ist jetzt weit hergeholt. Aber irgendwie sind die Weiden schon mystisch, du hast Recht.
• Ich möchte gerne näheres zu meinen drei liebsten Songs auf dem Album erfahren: „Surface“, „I Don’t Know How To Talk To You “ und „Mistaken“.
In „Surface“ geht darum, sich zu mit anderen in all der Unwissenheit zu verbinden. Zusammen können wir uns stärken und einander den Weg leuchten. Und uns inspirieren, unter zu festgewordene Oberflächen zu schauen. Musikalisch begleitet wurde ich hier von zwei Freunden, die wunderschöne Streicher eingespielt haben.
„I Don’t Know How To Talk To You “ ist die schmerzliche Erkenntnis, manchmal einfach keine gemeinsame Sprache zu finden. Ursprünglich aus Verwirrung und Unsicherheit darüber entstanden, wie sich die Welt politisch immer mehr verhärtet und entzweit. Später kamen mir bei dem Lied auch immer wieder Gedanken an menschliche Konflikte.
In „Mistaken“.geht es darum, dass man jemand anderem nicht seine Aufgaben abnehmen kann, jeder trägt seine eigene Verantwortung. Ein bisschen geht es auch um eine vergangene Liebe.
• Welches Deiner liebevoll produzierten Songs ist Dein persönlichster, auch intimster Song?
Wahrscheinlich „Curve A Line“, da er mir, als er mir einfiel, wie ein Geschenk vorkam. Wirklich, als wäre er mir eines Nachts geschenkt worden.
Allerdings ist jedes einzelne Lied sehr persönlich und intim, da ich jedes einzeln gefühlt und einmal durch mich hindurchlaufen lassen habe.
• Nun zu meinem Lieblingsthema: Frauen im Musikbusiness. Ich würde gerne Deine Erfahrung wissen wollen.
Ich bin Jahre lang getourt als oftmals einzige Frau in einer ganzen Crew. Das war schon teilweise komisch, weil ich oftmals das Gefühl hatte, jetzt bloß kumpelhaft und stark rüberkommen zu müssen, bloß nicht allzu weiblich zu sein. Das Mann-Frau-Verhältnis ist da einfach nicht ausgeglichen und führt zu Imbalancen. Generell ging’s mir bisher ganz gut, ich konnte das meiste verfolgen, was ich mir vorgenommen habe. Ich versuche, mein Team sehr divers und ausgeglichen aufzustellen und merke da, wie schwer das eigentlich ist. Deshalb bin ich sehr aktiv in sich gegenseitig supportenden Musikerinnen-Gruppen. Das ist so schön, um voneinander zu erfahren, sich zu unterstützen und das bisherige System ein wenig aufzumischen.
• Gibt es für Dich eine Künstlerin, zu der Du aufschaust, die Dir Kraft und Inspiration schenkt?
Florence. Maggie Rogers. Joni Mitchell. Alice Phoebe Lou. Das sind erstmal die ersten, die mir einfallen, aber es gibt noch viiiele mehr!
• Und nun zum Abschluss meine Lieblingsfrage, die ich bestimmt jeder Künstlerin stellen würde: Welches Buch oder welches Gedicht würdest Du gerne vertonen?
Das ist eine wundervolle Frage. Ich muss die Antwort vertagen, ich werde darauf in den nächsten Wochen achten und die Augen offenhalten. Bin offen für Vorschläge!
Danke für das tolle Interview!
Titelbild: Max Hartmann