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Marie Chain – Freedom
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Marie Chain – Freedom

Das Cover strahlt Freiheit aus. Ohne ihr Portrait und die Schriftzüge, wäre das in Pastellfarben abgebildete Artwork ein Gemälde. So könnte eine Oase, ein Berggipfel, das weite Meer oder die freie Natur hinein gedacht werden. Marie Chain breitet ihre Arme aus und empfängt mit jedem Atemzug die Unabhängigkeit. Auf einem Berg oder vor einem Meer, am Strand im Sand, die Arme auszubreiten und tief einzuatmen, ist etwas wundervoll befreiendes. Und jene Thematik wird mit dem Album „Freedom“ durch jede Melodie, jede Strophe und jede singende Zeile aufgeführt. Dazu schmückt sie ihr Booklet mit Aphorismen, wie von Nietzsche, Brecht oder Goethe.

Zu Anbeginn ihres Manifestes ist die Liedgestaltung poppig und der Wunsch sich auf einem Konzert zu befinden, um Marie Chain auf der Bühne zu feiern, ist groß. Ein jedes Mal versetzt es mich in eine Konzerthalle, danach in einen Jazzclub, denn ihre Musik wird smoothiger und jazziger. Was für Smooth Jazz Fans, die gerne Sade hören, ein Muss für die Sammlung im eigenen Plattenregal werden sollte. Einmal ist die Musik zum Feiern, einmal zum Abschalten und genießen. All das bietet „Freedom“ in einem betörenden Gewand.

Sie kombiniert auf dem Album viele verschiedene Sinneseindrücke und belässt sich nicht nur auf ein Genre, wie zum Beispiel ein Pop Album, welches zwei Balladen enthält. Das Klavier und ihr kerniger Soulgesang ziehen sich wie ein roter Faden durch ihr neues Album, das sowohl mit Pop als auch mit einem Hauch Jazz flirtet und an Filmmusik erinnert. Marie Chains Genre-Mix sprengt ebenso Grenzen wie sie selbst. Der Glamour von Vintage Soul und die Emotionalität von Blues treffen bei ihr auf die Leichtigkeit von House. Auch hier wird ihre selbstbestimmte Freiheit, sich in verschiedenen Stilen auszudrücken, hervorgehoben. Unwiderruflich hat sie ihren Sound gefunden.

Gerade in der pandemischen Zeit gab es Zerrüttung in Bezugnahme zur Freiheit. Von daher ist dieses Album ein Privileg, um auch diesbezüglich inne halten zu können. Unter anderem auch sich selbst die Frage zu stellen, was Freiheit für einen bedeutet.

Sie sagt: „Für mich ist 2020 das Jahr des Ausbruchs des Einzelnen aus gesellschaftlichen Normen und Unterdrückung”, sagt Marie Chain. „Mit meinem Album möchte ich Menschen dazu inspirieren, ihre eigene Freiheit selbstbestimmt zu leben – gerade jetzt ist das wichtig.“

Eröffnet wird ihr Album „Freedom“ mit einem Manifest an die Freiheit – gesprochen von ihrer Mensch-Maschinenstimme, die Marie Chain sinnbildlich für die digitalisierte Welt gewählt hat, da sie die Frage umtreibt: Kann man in unserer heutigen Welt wirklich frei sein? Damit möchte sie mit dem Album bewegen und zum Aufbruch inspirieren.

Ihre Liebe zur Musik wird mit ihrem glänzenden Album genau offengelegt. Ebenso die Träume zu leben, sich zu befreien und der Selbstbestimmung Ausdruck zu verleihen. Wie bereits erwähnt, versetzt mich der titelgebende Song „Freedom“ hüpfend und tanzend in eine Konzerthalle. Und das ist meine Art von wohnlicher Freiheit: Tanzen, derzeit in der Küche. Denn als ich auf Marie Chains Musik per Zufall traf und ich ihre Songs laut über Kopfhörer hörte, war ich nicht mehr beim Abwasch, sondern befand mich irgendwo in der Wohnung und tanzte als ob es keinen Morgen gebe. Es war hart wieder in der Realität zu landen. Somit bedanke ich mich für den Ausflug in die Leichtigkeit.

Eine Hommage an die 50er und 60er ist der Albumsong „A Song For You“ von Ray Charles. Die Neuinterpretation, eine wuchtige Orchester-Jazzballade mit James Bond Nuancen nahm Marie Chain in Prag mit dem 70-köpfigen Prague Metropolitan Orchestra auf und erfüllte sich damit einen lang gehegten Traum. „Mit diesem riesigen Orchester meinen Lieblingssong aufzunehmen, das ist wie Ankommen, dafür hat sich der ganze Weg gelohnt“.

Ein großes Gefühlsprogramm bietet „Right Here Right Now“. In diesem wundervollen Liebeslied gibt mein liebstes Gitarrengeräusch den beruhigenden Takt an.

Auch sie musste als Frau den harten Weg gehen und fiel auf ein mieses Stück von Mann rein. Gerade im Musikbusiness treiben sich Scharlatane und Pseudo-Assies herum. In „Judgement Day“ wird Marie Chain zum weiblichen James Bond. Zu opulenten Bläsern, Streichern und classy Jazz-Klavier prophezeit sie mit rauchiger Stimme „I’m coming for you, baby, we are not through”, bevor sie im Musikvideo den Mistkerl stilecht in der Hotelzimmerbadewanne umlegt und in Lederoutfit und Sonnenbrille lässig samt Rollkoffer abreist. Der Song ist ihre Kampfansage, sich von jeder Art von Abhängigkeit zu lösen und voll und ganz zu sich zu stehen, um sich nichts gefallen zu lassen! Entlarve den Täter am besten bereits vor der Tat!

Der Hintergrund zu diesem Song ist folgender: Ein Manager aus New York wollte mit ihr zusammenarbeiten. Was vielversprechend begann, entpuppte sich als Albtraum. Seine angeblichen Kontakte in der Branche waren heiße Luft, die geplanten Konzerte und Meetings in den USA platzen und der Wixxer machte sich aus dem Staub – jedoch nicht, ohne Marie Chain die Schuld am Schlamassel zu geben und das Geld für sich einzusacken. Harter Tobak für eine Vollblutkünstlerin, die sich daraufhin erst einmal fangen musste. Liebe Damenwelt, so lasst uns beten: Möge ihm der Blitz beim Scheißen treffen. Amen!

Um etwas Ruhe und Kraft zu bekommen, eignet sich ein besonderes Musikstück hervorragend: Die „Berlin Serenade“ ist ein wundervolles Arrangement aus einem kräftigen Piano, welches durch die Violine als Gegenstück begleitet wird. In diesem Stück spielt der Gesang keine Rolle. Ausschließlich  die Vertonung bestimmt den Werdegang der Freiluftmusik. Dieses Stück zu hören, während gen Himmel geblickt wird, ist eine Pracht.

In „Rescue Me“ fragt sie sich, ob sie sich wirklich die Freiheit wünscht, die sie so sehr wollte. Denn sie ist sich nicht mehr sicher und möchte die Arme des Geliebten nicht verlassen und bittet ihn um Rettung inmitten des Gefühlschaos. Absolut verständlich. Wer hat sich nicht „vergessen“, nur der Liebe Willen. Mein teure Marie Chain, auch in der Liebe ist Freiheit möglich. Wenn nicht, dann ist es nicht die wahre Liebe. Mit diesem Song wird ein wunderbares Werk von und über die Freiheit beendet und der Wunsch das Album erneut zu hören, wird groß und mit dem Kauf des Albums, kann dieser stets und ständig erfüllt werden.

*** Hervorragend!