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Sharon Van Etten & The Attachment Theory
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Sharon Van Etten & The Attachment Theory

Sharon Van Etten – Diese unglaubliche Singersongwriterin mit der tiefgründigen, nadelspitzen Stimme kann gewaltige Musik erschaffen, die wie Infusionen in den musikliebenden Adern einwirken. Bei ihren Kreationen wird man des Lauschens nicht müde.

Es sollte stets der aufblitzenden Intuition Folge geleistet werden, um zu der plötzlichen Erkenntnis zu gelangen, die einen weiteren Weg offenbart. Denn als Sharon van Etten für eine bevorstehende Tournee probte, fragte sie zum ersten Mal in ihrem Leben ihre Band, ob sie einfach jammen könnten. Worte, die nie aus ihren Mund gekommen wären – Offen gestanden ist es zu jammen mit das Wertvollste in einem Musikprozess. Warum auch immer sie sich nicht traute ihre Band ins Jammen zu bitten. Womöglich, weil sie einem strukturellen Plan verfolgt, dem in ihren Kopf verankerten Lied in getroste Existenz zu wiegen. (Ich weiß es nicht!) – Jedoch hatte sie dadurch die Erkenntnis erlangt, dass sie all die Klänge liebte, die sie gemeinsam erhielten. „Ich war neugierig – was würde passieren?“ – Was passierte, genauer, was dabei letztendlich herauskam, ist eine offenbarende musische Zeit, die sich magisch anfühlte. Zumal innerhalb von einer Stunde zwei Songs geschrieben worden sind, sagte sie.

Die Aufnahmen zum selbstbetitelten Album fanden in London in dem ehemaligen Studio der Eurythmics, The Church, statt, die zu einer spirituellen Sache geworden sind. Denn die mystische Mischung aus Elektronik und analogen Texturen wurden zur einer ausbalancierten Verbundenheit, die abermals gewichtig zugleich sind. So gewichtig, dass sie sich als Band im Studio wohlfühlten und in ihrer Kreativität völlig frei geworden sind. Mit dem Resultat eines prächtigen Werkes, welches sie nach sich selbst benannten: „Sharon Van Etten & The Attachment Theory“. Hervorgerufen aus einer Idee von Sharon, der Verbundenheit und der Vielfalt einen exakten Namen zu geben.

Auch könnte Sharon van Ettens ihre künstlerische Geisteshaltung als hingebendes, eifriges Glücksetikett bezeichnen, denn „Manchmal ist es aufregend, manchmal ist es beängstigend, manchmal fühlt man sich festgefahren. Jeder Tag fühlt sich ein wenig anders an – einfach in Frieden zu sein mit dem, was man fühlt und wer man ist und wie man in diesem Moment zu den Menschen steht. Wenn ich mir einfach ein Gefühl der Offenheit bewahren kann und gleichzeitig weiß, dass sich meine Gefühle jeden Tag ändern, ist das alles, was ich im Moment tun kann. Das und versuchen, die beste Person zu sein, die ich sein kann, während ich andere Menschen so sein lasse, wie sie sind, und es nicht persönlich nehme und einfach nur bin. Ich bin noch nicht so weit, aber ich versuche, jeden Tag so weit zu sein.“ – so Sharon van Etten.

Das fesselnde sowie entfesselnde „Afterlife“ vertieft sich in Synthies, während Text und Melodie hypnotisierend wirken. Das eingängige Stück fragt danach, ob diejenigen, die wir lieben, auch bei uns sein werden, wenn unser Leben endet. Die Musik brilliert hierbei in süßlicher Euphorie.

Über den Song „Trouble“ erzählte sie, dass dieser von der Idee handle, mit geliebten Menschen koexistieren zu müssen, die gegensätzliche Ansichten haben, und davon, dass man tiefgehende Teile von sich selbst und seine eigene Geschichte nicht teilen kann, weil diese nicht mit den Überzeugungen der anderen Person übereinstimmen. „Es geht darum, wenn ein wesentlicher Teil von dir für jemanden, der dich liebt, unsichtbar bleibt, weil es etwas ist, das diese Person nicht hören möchte oder nicht bereit ist, zu lernen oder zu verstehen. Und um die schmerzhaften Erkenntnisse, wenn man sich dafür entscheidet, die Bedürfnisse eines anderen über die eigenen zu stellen, um eine Beziehung zu retten.“

Im aufbauenden Licht steht „Indio“, einem euphorischen Noise-Pop Song übers Scheitern und Auffangen. Ferner wird darin mitgeteilt, dass auch, bei welchem einschlagenden Weg auch immer, die Arme ausgebreitet bleiben, um  tröstend wieder aufzuhelfen, wenn alles nichts nützt.

Auch aus der bedeutungsvollen Jam-Session entstammte „I Can’t Imagine (Why You Feel This Way)“, worin ihre Stimme lamentierend zwischen den Höhen und Tiefen des Lebens schimmert. In dem Song werden die eingehenden Nachrichten unerträglich. Der Kopf schreit nach Medikament, um die Lautstärke auszuhalten, weil die Gefühle durcheinandergeraten sind. Am Ende stellt sich die Frage, ob die Menschen das Ruder noch herumreißen können.

„Somethin‘ Ain’t Right“ ist sowohl stimmungsvoll als auch ansteckend und von den sequenzierten Synthesizern von Keyboarderin/Sängerin Teeny Lieberson angetrieben, das den Song zur vollendenden Vollständigkeit verwebt. Das Stück geht stark ins Gericht. Hartnäckig werden die Gefühle den Kriegenden hinterfragt, ob dieser sich auch gegenüber seiner Familie und Freunden verhält und dadurch versucht eine Wiedergutmachung zu bekommen, die er nicht verdient.

„Fading Beauty“ beginnt mit einem kaum hörbaren musikalischen Motiv, bevor sich Sharon van Ettens Stimme wie Rauch einschleppt. Hier vertieft sie den Diskurs, der einen Großteil ihres Katalogs belebt, indem sie erforscht, was es heißt, einfach nur ein Mensch zu sein.

Das schwer stampfende sonore „Southern Life (What It Must Be Like)“ entstammte ebenfalls aus der spontanen jammenden Session, in dem es gilt „Menschen mit sehr unterschiedlichen Perspektiven und Hintergründen zu verstehen, während man gleichzeitig versucht, mitfühlend gegenüber unserem vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Selbst zu sein.“

Und im abschließenden „I Want You Here“ keimt der Wahnsinn auf, wo zuvor noch die Sehnsucht plagte. In dem ansteigenden Song, der einem toxisch vorkommt, überlässt sie den Gefühlen die Bühne, nur dass die Liebe weiterhin unerfüllt bleibt und sie traurig zurückbleibt.

Jeder Song schenkt ihrer Stimme eine andere Beachtung. Keiner gleicht dem anderen. Wie jeder einzelne Bandmember steht jeder Song für sich selbst, wertvoll und intensiv, empfindsam und empowernd zugleich. Sharon van Etten strahlt dazu eine Lebendigkeit aus, die ihr verdammt gutsteht. Sie stopft zum einem Lautstärkeregler und zum anderen einen Vocoder in ihre Kehle, um ihren Gesang in unterschiedlichsten Facetten zu zelebrieren, sodass „Sharon Van Etten & The Attachment Theory“ eindeutig vor Selbstbewusstsein erstrahlt.

Der kreative Prozess von Sharon Van Etten bis hin zur The Attachment Theory führte sie stärker zusammen, so dass sie gemeinsam als Band wuchsen und ins nächste Level aufgestiegen sind. Wahrscheinlich machte es genau das aus, alle Musikschaffenden intensiver einfließen zu lassen, um dem Album einen Glanz zu verleihen, den sie in dem heiligen Studio nur noch einzufangen brauchten. Gerade weil die Vier unterschiedliche Charaktere sind, setzte es die Klangfarben frei, die im wechselnden Licht erstrahlen. – In einer Faszination, die Sharon van Etten seit jeher mit sich bringt. Doch diesmal durchlebten sie gemeinsam den Prozess des Loslassens und Vertrauens auf kreatives Fallenlassen.


Wertvolle Links:

Vinyl: black / Gatefold Cover