Das Cover ist dezent in schwarz-weiß gehalten, ohne Aufschrift. Nur sie allein steht in einem Wald, versunken in Gedanken zum Himmel blickend, die Hände sind in den Taschen des Oversize Mantels verborgen.
Ein Wald dient als Ruhepol für Mensch und Tier. Die Natur ist wie ein heiliger Tempel, durch den Kraft strömt und durchaus ein nie zuvor wahrgenommenes Bewusstsein eröffnen kann. Vielen musischen Künstler*innen gab die Isolation einen Inspirationsschub, einen neuen Blick, eine neue Single, ferner ein neues Album.
Auch zu der mit erfolgreichsten Künstlerin des US-Pop-Business floss der Bewusstseinsstrom. Doch ist „Folklore“ jenseits von einer nach Reputation / Lover – singenden, zurückstänkernden und shakenden Taylor Swift mit Ex-Aufarbeitungstherapie. Das Album ist eine Zierde, ein beruhigender Zeitgeist und eine Geschichten erzählende Pracht, mit Parallelen ihres eigenen Lebens, doch ohne satten Mainstream-Pop-Performance-Sound. „Folklore“ ist wahrlich eine Überraschung und zeigt erneut auf, wie wandelbar diese junge Frau ist.
Das Artwork dazu ist komplett in schwarz-weiß gehalten, keine bunte Mischung aus Selbstdarstellung und Sexyness. Einzig ein Foto, welches sie in frischem Morgentau der grünen Natur abbildet ist farbig dezent gewählt, und lieblich in ihrer Gestalt. Taylor Swifts Bilder sind im Cottagecore, im Landhausstil, gehalten.
Im Prolog erklärt sie ihre „Sinneswandlung“, ihre Gedanken zum Album, welches ein Konzeptalbum ist:
„Es begann mit der Bildsprache. Bilder, die mir in den Sinn kamen und meine Neugierde weckten. Sterne um Narben herum gezeichnet. Eine Strickjacke, die zwanzig Jahre später immer noch den Geruch von Verlust trägt. Schlachtschiffe, die im Meer versinken, runter, runter, runter. Die Baumschaukel in den Wäldern meiner Kindheit. Geheime Töne von „Lasst uns weglaufen“ und es doch nie tun. Der sonnendurchflutete Monat August, der wie eine Flasche Wein verschlungen wird. Eine verspiegelte Discokugel, die über einer Tanzfläche schwebt. Eine Whiskey-Flasche winkt. Die Hände durch Plastik gehalten. Ein einziger Faden, der auf Gedeih und Verderb mit Schicksal verbindet.
Ziemlich bald wuchsen aus diesen Bildern in meinem Kopf Gesichter oder Namen und wurden zu Charakteren. Ich fand mich dabei wieder, nicht nur meine eigenen Geschichten zu schreiben, sondern auch über oder aus der Perspektive von Menschen zu schreiben, die ich nie getroffen habe, Menschen, die ich gekannt habe oder von denen ich wünschte, ich hätte sie nicht getroffen.
Ein Exilant, der an den Klippen eines Landes spazieren ging, das nicht sein eigenes ist, und sich fragte, wie das alles so schrecklich, schrecklich schief gehen konnte. Ein verbitterter Peiniger, der bei der Beerdigung seines gefallenen Objektes der Besessenheit auftaucht. Ein Siebzehnjähriger, der auf einer Veranda steht und lernt, sich zu entschuldigen. Liebestrunkene Kinder, die auf der immergrünen High Line auf und ab wandern. Mein Großvater Dean, der 1942 in Guadalcanal (Insel auf den Salomonen) landete. Eine missratene Witwe, die sich schadenfroh an der Stadt rächt, die sie verstoßen hat.
Eine Geschichte, die zur Folklore wird, ist eine Geschichte, die weitergegeben und herumgeflüstert wird. Manchmal wird sie sogar besungen. Die Grenzen zwischen Fantasie und Realität verschwimmen, und die Grenzen zwischen Wahrheit und Fiktion werden fast unmerklich. Die Spekulation wird mit der Zeit zur Tatsache. Mythen, Geistergeschichten und Fabeln. Märchen und Parabeln. Klatsch und Legende. Geheimnisse von jemandem, die in den Himmel geschrieben wurden, damit alle sie sehen können.
In der Isolation ist meine Vorstellungskraft wild geworden. Dieses Album ist das Ergebnis, einer Sammlung von Liedern und Geschichten, die wie ein Bewusstseinsstrom geflossen sind. Einen Stift in die Hand zu nehmen, war mein Weg, um in die Phantasie, die Geschichte und die Erinnerung zu entfliehen. Ich habe diese Geschichten nach bestem Wissen und Gewissen erzählt, mit all der Liebe, dem Staunen und der Laune, die sie verdienen.“
Wer trägt nicht gerne eine Strickjacke? Oder besaß ein Kleidungsstück des/der Liebsten? Ihr „Cardigan“ dient jedoch im Song als Andenken einer verlorenen Romanze und davon, warum die junge Liebe dauerhaft in der Erinnerung verankert ist.
Ein düsterer Song ist „My Tears Ricochet“, der die toxische Spannung einer vergangenen Beziehung reflektiert und sich dabei trauriger Bilder bedient. „Ich hatte es nicht in mir, mit Anmut zu gehen. Denn wenn ich gekämpft habe, hast du mir immer gesagt, ich sei mutig. Und wenn ich für dich tot bin, warum bist du dann hier bei der Beerdigung? Verfluchst meinen Namen, wünschtest, ich wäre geblieben…“, so Tylor Swift in dem Song.
In „The Last Great American Dynasty” wird die Geschichte der amerikanischen Gesellschaftsdame Rebekah Harkness erzählt. Sie war die Gründerin des Harkness Balletts und ehemalige Bewohnerin von Swifts Villa in Rhode Island. Das Lied beschreibt, wie Harkness in eine Familie der Oberschicht einheiratete, von der Stadt gehasst wurde und für den Tod ihres damaligen Ehemannes und Erben von Standard Oil, William Harkness, und den Sturz des Familiennamens verantwortlich gemacht wurde. Taylor Swift vergleicht Harkness mit sich selbst und zieht Parallelen zwischen der harten Kritik, die Harkness erhielt, sowie der Kritik, die Swift während ihrer gesamten Karriere einstecken muss.
Bon Iver ist geschaffen für den Song „Exile“, dem er im Duett mit Taylor Swift singt. Dieses Stück enthält eine besonders feine Note der beiden Singer/Songwriter, die magisch ist. In der Story geht es um einem Exilanten, der an den Klippen eines Landes spazieren ging, das nicht sein eigenes ist, und sich fragte, wie das alles so schrecklich schief gehen konnte.
In „Mad Woman“ spricht sie ein Thema an, welches sehr umstritten ist und einige Männer nicht hören wollen: eine der größten Ungerechtigkeiten, denen Frauen ausgesetzt sind. Es geht um das Wagnis sich zu wehren, gegenüber Verspottung, Erniedrigung und nur den Dreck wegräumen zu müssen. Dass Frauen in eine Kategorie eingestuft werden, die z.B. im Musikbusiness von diversen Managern gemacht werden.
Die Musik zu den einzelnen siebzehn Songs ist instrumental, emotional mit feinsten Klaviermelodien und einer Instrumentenkulisse, die sich in der Melancholie ineinander verlieben und den Reiz aus Klavier, Percussion, Electric-und Acoustic Gitarren sowie Keyboards ausmachen. Hierbei offeriert sich die Musik in die Stille und Ruhe hinein, wie bei einem guten Gespräch, wo sich sämtliche Geschichten oder eigene Erlebnisse erzählt werden ohne dabei aggressiv zu werden.
Gemeinsam mit den Produzenten Jack Antonoff und Aaron Dessner wurde „Folklore“ zum wunderbarem Programm für die Sinne.
*** Ich hörte, während ich meine Oma hütete und mit ihr gemeinsam frühstückte, im Radio einen Song mit einer „Female Voice“, die mich verzückte. Der Radiosender spielt überwiegend Oldies der 60er, 70er und 80er, ab und an auch Schlager. Nach der Shazam Suche wurde mir „My Tears Ricochet“ von Taylor Swift angezeigt. Ich habe nicht schlecht gestaunt. Der Song überzeugte mich dementsprechend zum Kauf des gesamten Albums als Deluxe Edition. Man kann von Taylor Swift halten, was man will. Aber – sie ist sehr talentiert, dazu geht sie ihren Weg und stellt damit Rekorde auf. Der Rest ist wohl eher nur dem Neid geschuldet.