Ute Lemper hat „es“. Dieses „es“ an außerordentlicher Begabung, magisch anziehend zu sein. Ihr Ausdruck birgt eine unbeschwerte Eleganz, die herausragend ist. Dazu ist ihre Karriere umfangreich und vielfältig, wobei sie als Tänzerin, Sängerin, Schauspielerin und Künstlerin einen großen Namen zu liebkosen weiß. Zumal sie mit Lobeshymnen für ihre Interpretationen der Berliner Kabarettlieder, der Werke von Kurt Weill und Berthold Brecht, Edith Piaf, Nino Rota, Astor Piazzolla und vielen anderen überhäuft wurde.
Darüber hinaus überschlug sich die Presse, als Ute Lemper „die Dietrich“ verkörperte. Ihr Repertoire „Rendezvous mit Marlene“ basiert auf einem dreistündigen Telefongespräch zwischen ihr und Marlene Dietrich, welches 1988 in Paris stattfand. Dies kam zustande, als sie nach der Verleihung des französischen Molière-Preises für ihre Darbietung in Cabaret in Paris eine Postkarte an Marlene sandte, um sich im Wesentlichen für die ganze Medienaufmerksamkeit zu entschuldigen, die sie mit Marlene Dietrich verglichen hatten. Besonders weil Ute Lemper gerade am Anfang ihrer Theater- und Musikkarriere stand, während Marlene Dietrich auf ein langes, erfülltes Leben mit Filmen, Musik, unglaublichen Kollaborationen, Liebesgeschichten und Ruhm zurückblicken konnte.
Auf ein erfüllte Leben sowie auf eine erfolgreiche Karriere kann Ute Lemper ebenfalls zurück- wie auch weiterhin vorwärtsblicken, ohne sich eremitenhaft in ein Pariser Apartment zurückziehen zu wollen. Doch über ihre Karriere, ihr Wesen und ihren Weg wird sie im Juni 2023 in ihrer Biografie „Die Zeitreisende: Zwischen Gestern und Morgen“ erzählen. Zu ihrem 60sten Geburtstag erlaubt die Grande Dame des Chansons einen persönlichen Einblick in ihr Leben vor sowie hinter dem Vorhang. Doch zuvor darf ein neues Album das wertvolle Licht der Welt erblicken, welches sie wohlwollend „Time Traveler“ taufte.
„Was geschehen muss, wird zur richtigen Zeit am richtigen Ort geschehen.“ – Dieses Zitat trifft auf die Entstehung des neuen Werkes zu. Denn durch einen Zufall tauchten 2021 im Keller der Schwiegereltern Kartons mit Bändern auf, die vor 23 Jahren auf einer analogen Bandmaschine aufgenommen worden sind und ihn Vergessenheit gerieten. Die besagte Bandmaschine existierte längst nicht mehr, aber eine Kassette mit einer Sicherheitskopie fand sich ein, die das Album-Glück erfolgreich besiegelte. Eine Digitalisierung war zu allen Liedern nicht möglich, doch dies gab Ute Lemper keinen Abbruch, vielmehr diente es ihr als Inspiration. Über ihren gehobenen Schatz und die Entstehung des neuen Albums erzählt sie: „Einige Songs waren zu antiquiert. Andere hatten aber noch einen zeitgenössischen Puls, der mich interessierte. An einige dieser Stücke legten wir produktionstechnisch noch ein wenig Hand an. Ich dachte mir aber, nur aus diesen alten Sachen kann man kein Album machen. Eines Morgens spürte ich dann den Impuls, wieder neue Lieder zu schreiben. Ich fühlte diesen Funken der Intuition, aber inspiriert durch das Alter. Der erste Song war „Time Traveler“, denn ich dachte mir, es ist tatsächlich eine Zeitreise, die alte Zeitfalte von vor 23 Jahren wieder aufzufalten.“ Die entschwundenen Songs wollten im geglätteten „Time Traveler“ mit der Welt geteilt werden. Und so ward es ihnen eines Tages bestimmt…
Das Album enthält zehn Lieder, die abwechslungsreich sind und zum intensiven Genießen einladen. Ute Lemper verpackt ihre Geschichte in wunderbar arrangierte Songs, in denen sie das Leben und Älterwerden ehrt. Ihre Lieder beinhalten das wahre Leben, während sie die Vergangenheit begrüßt, die sich mit der Gegenwart verknüpft. Zwischen Spannung und Entspannung sowie Stille und Getose vereint Ute Lemper wichtige Einblicke, die dringlich sind.
Allein die Titelliste liest sich wie eine Zusammenfassung einer Zeitreisenden und zeigt in bündigen Sequenzen Orte des Seins, die ein Geschenk sind. Denn der Opener und das titelgebende „Time Traveler“ führt über die Brücke der Vergangenheit und die der Gegenwart, die den fortwährenden Zeitsprung aus bizarren Neuinterpretationen vertrauter Dinge widerspiegelt.
Wobei sie in „In My Flame“ sowohl ihre stillen selbst auch ihre kompliziertesten Offenbarungen findet, nachdem sie durch das Feuer gegangen ist. Trotz des steiniges Weges dürstet es ihr in „Moving On“ danach die Liebe und Freude fest- und die innere Positivität beizubehalten. Danach folgte sie dem „Magical Stone“, der auf einer Poesie von Jaques Prevert beruht. Mit einen inspirierenden Spaziergang durch ihren „At The Reservoir“ pflückt sie ihre Ideen nahe des friedlichen Weges, die sie im Central-Park ganzjährig zu finden weiß. Und mit einem Lied des Überlebens, welches sie im düsteren und dennoch tief empfundenen „The Gift“ achtet, schließt Ute Lemper ein wunderbares mit-der-Zeit-reisendes Album ab.
Unter den erwähnten Liedern befinden sich Originalsongs aus dem Jahre 2000. Jedoch trifft Ute Lempers alte Stimme auf ihre heutige Stimme, sodass 23 Jahre später „Little Face – The Sequel“, „Man With No Face“, „Envie d’Amour” und „Cry In The Dark“ mit einer unterschiedliche Klangfarbe ein gönnendes Tribut zollt, erneut in die Welt zu fliegen.
Das Stück „Envie d’Amour“ bezieht sich auf ihre erste Aufnahme von „La Vie En Rose“ aus ihrem 1990er Album „Illusions“. Der Song „Little Face“ ist eine Fortsetzung der 2002er Version und reflektiert die ewige Liebe zu ihren inzwischen erwachsenen Kindern.
Musikalisch möchte Ute Lemper auf ihrem neuen Werk frei von Genre-Eingrenzung sein. Hierbei wünscht sie sich als als Ute Lemper wahrgenommen zu werden, damit die Hörer:innen ihre eigene Emotionen zur Musik durchstreifen können. Genauso wie es Ute Lemper selbst tat – sich einfach inspirieren lassen, hören, fühlen…
„Time Traveler“ ist ein sehr persönliches Album, das einem Streben nach Liebe und Frieden gleichkommt. Auf der immerwährenden Reise wird eine Botschaft verdeutlicht, die hingegen weit über Ute Lempers eigene Lebenserfahrung hinausreicht: Die Gesellschaft vergisst zunehmend, die Vergangenheit in die gute Stube einzuladen, es anzunehmen, aufzuarbeiten und aus ihr zu lernen. Hierbei möchte Ute Lemper vorschlagen, „…auch mal in den Rückspiegel zu schauen. Denn der Fortschritt nimmt immer mehr Tempo auf.“
In dem „Varieté“-Album fühlt Ute Lemper die Vergangenheit, die einen Anstoß nach Reflektion und Aufarbeitung gibt. Ihre Lieder bringen der Unruhe Gelegenheit sich in Ruhe zu verwandeln, die bereichernd ist. Das abwechslungsreiche Werk darf regelmäßig genossen werden, denn es schafft eine entspannte Atmosphäre, die vertraut ist, in der man sich wohl fühlt.
***Als ich das Album in den Händen hielt, heulte ich erstmal eine Stunde drauf los. Ich war glücklich darüber ihr Album in meinen Händen halten zu dürfen. Zudem brachte mir das Album eine ersehnte Ruhe, die ich so vermisste.
Wertvolle Links:
- Homepage: https://www.utelemper.com/